Montag, 3. März 2014

Karneval mag mich nicht.

Alles begann am Donnerstag mit der Altweiber Fassnacht. Da ich jetzt volljährig und somit ein altes Weib bin, nahm mich meine Gastmutter mit, zu ihrem Treffen der Comadres. Um der Gruppe von 11 Frauen einen einheitlichen Look zu verpassen, trugen wir alle schwarze Jeans, ein weißes Oberteil, eine blaue Perücke und Katzenohren. Wir waren in einer Kneipe, die sich die Botschaft Tarija's nennt. Dem entsprechend wurde man dort den Traditionen dieser Stadt [Tarija] etwas näher gebracht. Es gab einen Obstkorb [der jedoch in unserem Fall eher Gemüse und Lustballons beinhaltete], traditionelle Live-Musik, sowie Essen. So habe ich es gewagt Kuhmagen zu probieren und es sogleich bereut. Es stellte sich schnell heraus, dass dieses Lokal nicht besonders gut war. Es war sehr klein und nicht für große Menschenmassen ausgelegt, doch es kamen immer mehr und mehr Leute, sodass die Lokalbesitzer uns am Ende einen Tisch und mehrere Stühle abgeknöpft haben, damit noch mehr Leute kommen können. Aber da unsere Truppe ganz lustig drauf war, hatten wir trotzdem unseren Spaß, bis...
Auf einmal erschien die Polizei. Zunächst vereinzelt, dann in Scharen, mit Schutzhelmen und Schlagstöcken. Wir waren recht verdutzt, da wir zwar ausgelassen, aber friedlich feierten. Nach und nach stellte sich heraus, dass das Lokal sich keine Genehmigung für die Veranstaltung eingeholt hatte und wir wurden vor laufender Kamera [das lokale Fernsehen hat sich das Spektakel nicht entgehen lassen] vor die Tür gesetzt. 
Das war allerdings halb so schlimm, denn für das Wochenende war ein Tripp nach Oruro geplant. 

Wie erklär ich das am Besten? Man startet hier gerne Kriege
mit Schaumsprühdosen und ich war das Lieblingsopfer...



Was für den deutschen Karneval Köln oder Mainz ist, ist in Bolivien Oruro. Eine sonst recht unscheinbare Stadt, platzt einmal im Jahr aus allen Nähten. Halb Bolivien und unzählige Touristen strömen herbei, um das sagenumwobene Spektakel des Carneval Orureño zu bewundern. Es ist nicht annähernd so, wie in Deutschland. Niemandem wird Süßkram an den Kopf geschmissen. Es ist eher vergleichbar mir dem brasilianischem Karneval, nur ohne große Wagen. Alle traditionellen Tänze Boliviens finden ihren Platz. Zwischen 2 nicht enden wollenden Reihen von Tribühnen auf der Straße, demonstrieren die Tänzer ihr Können. Tinku, Morenada, Tobas, Diablada, Llamerada, Los Negritos, Kullawada, Antawara, Suri Sicuri, Zampoñeros, Phujallay, Tarqueada, Doctorcitos, Incas, Waca Waca, Potolos und Caporales werden aufgeführt. Alle Tänze haben ihr eigenes Kostüm, ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Choreographie und Geschichte.




Caporales:
Chicas, vamos, muevan, esoooo!
 Dieser Tanz repräsentiert den Tanz, der schwarzen 'lieblings' Sklaven in Bolivien. Die männlichen Sklaven fand man auf den Feldern, die Frauen wie Haushaltshilfen oder Kindermädchen in den Häusern. In Blöcken von bis zu 5o Personen tanzen Männer und Frauen und symbolisieren die Sklaven. Hin und wieder kommt eine einzelne Reihe Tänzer, die die Sklaventreiber darstellen. Die Glocken, die die Tänzer an den Stiefeln tagen, stehen für die Fußfesseln und Ketten. Durch das hüpfende Fortbewegen der Männer klingen die Glocken sehr schön. Die Frauen wackeln nur mit dem Hintern, sodass der Rock hochfliegt. Dass diese Sklaven die 'Lieblings'-Sklaven waren, lässt sich daraus schließen, dass sie in Häusern in Betten schlafen durften, was allen anderen nicht gestattet war.




Morenada:
Morenos - hier kann man gut den runden Rock erkennen
Auch hier basiert der Tanz auf der Sklavengeschichte Boliviens. Die Sklaven hier, arbeiteten jedoch in den Mienen und sind bei weitem nicht so 'beliebt'. Die meisten männlichen Tänzer tragen einen runden Rock, der den Bohrer symbolisiert, den die Arbeiter nutzten. Sie sind die Sklaven [Morenos]. Andere männliche Tänzer haben eine Art Schwanz, am Kostüm. Sie stehen für die Aufpasser [Achachis] in den Mienen. Der Tänzer mit dem größten und schönsten Kostüm ist der König [super Achachi]. Alle Frauen gehören zu ihm. Die Cholas Morenas sind seine Gemahlinnen, die Chinas Morenas, seine Töchter. Dieser Tanz zeichnet sich nicht durch seine aufredende Choreographie aus. Die Tänzer laufen sich drehend und mit den Armen schwingend voran.
Las Cholas Morenas - mit ihren langen Röcken, werden sie meist von älteren Frauen getanzt

Super Achachi
Seine Töchter [Miss Bolivia schwingt die Hüften]
Los Achachis - gut zu erkennen an ihrem 'Schwanz'


Tobas:
Dieser Tanz kommt aus dem Amazonas und hat 6 Charaktere. Wer Federn hoch aufgerichtet auf dem Kopf trägt, ist Anführer seines Klaans [Toba/ Mujer Toba]. Der Rest des Klaans besteht weitgehend aus Jägern und Kämpfern [Chuncho/ Mujer Chuncho], die entweder mit Pfeil und Bogen oder Speeren ausgestattet sind. Des Weitern gibt es noch die weise alte Dame [Abuela], die ihr Wissen kundtut und den Hexenmeister [Brujo], der als Heiler fungiert. Da dieser Tanz aus dem tropischen Teil des Landes stammt, tragen die Tänzerinnen ein sehr luftiges Kostüm. Wenn der Tanz richtig ausgeführt ist, ist er sehr schön. Die Tänzer springen hoch, intigrieren ihre Waffen in die Bewegungen und machen Schlachtrufe, die rhythmisch zur Musik passen.
El Brujo - mit seinem wundervollen Kostüm
 Es ist schön zu sehen, dass die Tänzerinnen nicht alle spindeldürr sein müssen, um zu tanzen.


Los Negritos:
Aus den Yungas stammend repräsentiert dieser Tanz erneut einen Teil der Sklavengeschichte Boliviens. In der Nacht, nach der Arbeit trafen sich die Sklaven zum musizieren. Sie sangen traurige Lieder, spielten Instrumente und nach und nach entwickelte sich ein Tanz, der weitgehend übernommen wurde. Innerhalb der Sklaven gab es einen Rang. Der Capataz sorgte dafür, dass der Negro seine Arbeit verrichtete und konnte ihn bestrafen.

Capataz - Ein Sklaventreiber treibt das Publikum zum Applaus
Negro wankt unter dem Scheinbaren Gewicht seiner Fußfessel


Diablada:
Erzengel
Michael
Dies ist der Tanz zwischen gut und böse. Es ist vermutlich der Tanz mit den meisten Charakteren. Erzengel Michael kommt auf die Erde, um das Böse zu bekämpfen, das durch Lucifer, Satanás und die Teufel [Diablos] repräsentiert wird. Die Diablesa versucht den Engel mit ihrer Schönheit in ihren Bann zu ziehen, während die China Supay die Partnerin des Teufels ist. Die einzigen Helfer Michael's sind der Kondor [der Gott des Altiplano] und der Bär [Gott der Fruchtbarkeit]. Der Tanz endet [wie alle Tänze] damit, dass alle auf die Knie gehen und in eine Kirche einziehen. Zu diesem Zeitpunkt hat Erzengel Michael den Kampf zwischen gut und böse gewonnen.
Es ist der Tanz mit den aufwendigsten und ausgefallensten Kostümen. Der Bär ist der Liebling des Publikums und wenn er vorbeikommt rufen alle 'Oso, oso, oso' [Bär]. In der Nacht bietet dieser Tanz einen besonders schönen Anblick durch Feuer- und Lichtershows.
Der Kondor


Llamerada:
Dieser Tanz kommt aus dem Altiplano [Hochanden] und ist, wie der Name schon vermuten lässt sehr stark mit Lamas verbunden. Da dort das Lama in beinahe allen Lebenssituationen vorkommt [Lebensmittel, Kleidung, Transportwesen] und somit unabdingbar ist, gibt es einen traditionellen Tanz davon. Jeder Tänzer hält ein kleines Lama in der Hand.
Llameras mit nur schwer zu erkennenden Lamas.


Tinku:
'Tinku' bedeutet Kampf auf Aymara. Das Ganze resultiert aus der Tradition, zu kämpfen bis Blut den Boden tränkt. Das Blut dient als Opfergabe an Mutter Erde. Glücklicher Weise ist es sehr untypisch Blut während des Tanzens zu sehen. Der Kampf wird hier nur angedeutet und ist, wenn man nicht von der Bedeutung weiß gar nicht zu erkennen. Wenn richtig ausgeführ ist auch dieser Tanz beeindruckend. Die Tänzer beugen sich weit vornüber und schwingen die Arme. Klingt merkwürdig, aber wer den Tanz beherrscht, sieht dabei wirklich gut aus.


All diese Tänze sind wunderschön anzusehen und mir wurde gesagt, dass es besonders in der Nacht ein großartiges Schauspiel sei, mit Feuer- und Lichtershow. Leider kam ich nicht dazu, das zu sehen.
Es gab immer mal wieder etwas Rückstau und so hielt eine Diablada Gruppe vor uns an und das Publikum animierte sie dazu einen typischen Tanz aus La Paz aufzuführen. Fröhlich und ausgelassen, klatschten, hüpften und sangen alle mit. Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung, bis auf einen Teufel. Wir dachten, er sei betrunken, denn auf einmal fing er an in die verkehrte Richtung zu laufen. Als auch wir in diese Richtung blickten, traf uns der Schock. Alle Leute waren aufgestanden und immer mehr kletterten über die Absperrung und rannten in Richtung des Geschehens. 
Kaum hatte sich die Gruppe in Bewegung gesetzt, war knapp zwei Blocks von uns entfernt eine Fußgängerbrücke über den Musikern zusammengebrochen. Sie war im Gegensatz zu den meisten anderen nicht abgesperrt worden und so feierten oben ausgelassen Zuschauer. Vermutlich konnte die Eisenkonstruktion dem Gewicht der tanzenden und hüpfenden Personen nicht standhalten und stürzte mitsamt der Zuschauer zu Boden. Zwei Musiker, die sich unmittelbar unter der Brücke befanden, wurden getroffen und waren auf der Stelle tot. Bis zum heutigen Zeitpunkt weiß man von zwei weiteren Toten und über 6o Verletzten.
Bis alle Personen geborgen und die Spuren der Tragödie entfernt waren, waren mehrere Stunden vergangen und wir lagen bereits in unseren Betten. Die restlichen Tänzer [nicht einmal die Hälfte der Tänzer hatte vor dem Unfall getanzt] beendeten noch die Zeremonie, doch die Stimmung war hinüber. Am Ort des Unglücks tanzte niemand. Mit gesenktem Kopf schritten die Tänzer langsam voran, bevor sie wieder zu tanzen begannen.
Mal ganz abgesehen vom Verlust der Familien der Opfer, finde ich es sehr schade, dass mir so viel, der Veranstaltung entgangen ist. Ich habe nur einen Bruchteil der Tänze gesehen und habe das komplette Nachtspektakel verpasst. Für den Karneval in Oruro wird diese Tragödie wohl für die nächsten Jahre einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Ich hoffe nur sehr, dass Bolivien daraus lernt, es ist nämlich keine Seltenheit, dass auf Grund von Konstruktionsfehlern oder Sicherheitsmängeln tragische Unfälle passieren.

2 Kommentare:

  1. Das hast Du schön beschrieben, danke. Ich war selbst vor langer Zeit über ein Jahr in Südamerika unterwegs (fast alle Länder bereist) und liebe den Kontinent. Dir noch eine schöne Zeit! Michael

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  2. Liebe Cosima,

    ich freu mich bereits jetzt auf deine Version von Kullawada (der gefällt mir namentlich klar am besten) und werde Örmi bitten, eine Flasche mit Sprühsahne bereit zu halten. Vielleicht werde ich doch noch Karnevalsnarr....?

    Lieben Gruß,
    Patonkel

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